Wie der Mensch die besonderen Eigenschaften, die den Gips so wertvoll machen, entdeckte, bleibt unbekannt. Wahrscheinlich dienten Gipssteine als Gesteinsbrocken zur Begrenzung des Lagerfeuers, die durch die Hitze mürbe wurden und dann relativ leicht zu einem weissen Pulver zerstossen werden konnten. Wurde diesem Pulver Wasser hinzugefügt, entstand eine geschmeidige, mörtelähnliche Masse, die in jede mögliche Form gebracht werden konnte und an der Luft erhärtete. Damit war das Geheimnis der Gipsaufbereitung entdeckt, welches darin besteht, dem Gipsstein durch Erhitzen Wasser zu entziehen und ihm dieses bei der Verarbeitung wieder zuzusetzen.
Als Bindemittel kam Gips bereits Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung zum Einsatz. Beim Bau der Türme von Jericho und beim Errichten der Pyramiden im Lande des Nils fand gebrannter Gips als Mörtel Verwendung. Gipsgestein wird auch in den Keilschrifttafeln der Assyrer erwähnt. Die erfinderischen Griechen machten sich den Gips als verbreiteten Bau- und Konstruktionsstoff zu eigen. So erzählt der griechische Denker Theophrastus im 4. Jahrhundert vor Christus in seinem Werk «Über die Steine» von Gipsherstellungsstätten auf Zypern, in Phönizien und Syrien. Er erwähnt, dass Gips als Verputzmaterial und zur Herstellung von Flachreliefs zum Einsatz gelangte. Auch die Bildhauer sollen gerne mit dem leicht modellierbaren Material gearbeitet haben. So ist der gezielte Gebrauch wahrscheinlich von den Griechen entwickelt worden, deren Einfluss erkennbar wird durch den Namen, unter dem dieses Gestein bekannt ist. Sie nannten es «Gypsos», augenscheinlich die Quelle unseres Wortes Gips.
Die Griechen prägten auch das Wort für die durchsichtige, glimmerähnliche Form des Gipses, die sie in ihren Tempelfenstern verwandten. Weil das Sonnenlicht, das durch diese Fenster schien, wie mildes Mondlicht wirkte, nannten sie es nach Selene, ihrer Mondgöttin. Noch heute wird es in den USA «Selenite» genannt. Hier kennt man diese durchsichtige Form der Gipskristalle besser unter dem Namen «Marienglas».
Wie so vieles andere übernahmen die Römer auch die Gipskenntnisse der Griechen. Vitruv erwähnt in seiner Schrift «De architectura» den Gipsstuck, und in den Schriften von Plinius findet man Angaben über den Einsatz von Gips zu Bauzwecken. Mit dem Niedergang des römischen Reiches geriet auch der Gips als Baustoff in Vergessenheit und wurde erst um 1300 in Italien wiederentdeckt. Die Bildhauer und Baufachleute des 15. Jahrhunderts entwickelten in der Frührenaissance von neuem die Technik des Brennens von Gips und seiner Anwendung.
Die Mauren errichteten in Nordafrika und Spanien herrliche Kunstwerke, die heute noch bewundert werden können. Eine erste Blütezeit erreichte der Gips zur Zeit des Barocks und des Rokokos. In dieser Zeit entstanden Stuckarbeiten hohen handwerklichen und künstlerischen Ranges, welche ohne Gips nicht auszuführen gewesen wären.
Heute ist Gips aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Neben den zahlreichen Bauprodukten gibt es Spezialgipse für die Keramikindustrie, Giessereien, Ziegeleien, Brauereien, für die Landwirtschaft und in der Medizin für Chirurgie und Zahntechnik.